Am Anfang steht immer der auslösende Reiz. Er folgt einem Muster wie z.B. der gleichen Uhrzeit oder dem gleichen Kontext (z.B. der Wunsch nach Entspannung). Das Gehirn lernt dann mit einem bestimmten Verhalten auf diesen Reiz zu reagieren (Fingernägel kauen). Für den Reiz wurde so eine Lösung gefunden und es werden als Belohnung Botenstoffe (insbesondere der Neurotransmitter Dopamin) im Gehirn ausgeschüttet. Die Botenstoffe signalisieren, dass die Strategie, die wir angewendet haben, erfolgreich war. Das Gehirn erinnert sich beim nächsten Reiz an das erfolgreiche Verhalten und wiederholt dieses. So wird daraus eine Gewohnheit.
Welche Prozesse laufen dabei aber genau in unserem Gehirn ab? Befinden wir uns noch im Lernprozess (und tun Dinge zum ersten Mal) ist der Präfrontale Kortex im Stirnbereich unseres Schädels aktiv – er ist zuständig bei bewussten Handlungen. Es übernimmt sozusagen unsere Willenskraft das Steuer. Wenn du eine Sache dann häufiger tust, wird sie mehr und mehr zur Routine. Dann ist nicht mehr der Präfrontale Kortex aktiv, sondern tiefere Regionen unseres Gehirns. Die sogenannten Basalganglien werden aktiv. Sie liegen mittig im Gehirn und sind für Routinehandlungen zuständig – unser Gehirn befindet sich dann in einem entspannten und energiesparenden Modus. Wollen wir eine Gewohnheit ändern, befinden wir uns logischerweise wieder auf der Ebene des Präfrontalen Kortex, im Bewussten. Unsere Gewohnheiten sind aber in einem viel älteren Teil des Gehirns abgelegt und laufen schnell und automatisiert ab. Und das heißt: wir können unsere inneren Programme nicht so einfach löschen. Veränderungen brauchen daher viel Raum und Zeit, damit sich in der Tiefstruktur des Gehirns etwas tut und neue neuronale Verbindungen aufgebaut werden. Wenn es dir also schwerfällt, eine neue Gewohnheit zu etablieren oder eine Ungeliebte abzulegen, ist das ganz normal. Das liegt nicht an deiner mangelnden Willenskraft, sondern an den schlauen Mechanismen deines Gehirns.
Willenskraft, Stress und Gewohnheiten
Nach einem anstrengenden Tag, an dem du viele Entscheidungen getroffen hast, ist es schwer noch die Willenskraft aufzubringen, deine neue Gewohnheit umzusetzen. Studien haben ergeben, dass Willenskraft limitiert und irgendwann erschöpft ist. Sind Gewohnheiten hingegen etabliert, muss man nicht mehr auf seine Willenskraft zurückgreifen. Ähnliches gilt für Stress. Unter Stress greifen wir (oder unser Gehirn) am liebsten auf gewohnte Verhaltensweisen zurück. Wir sparen dadurch Energie, die wir brauchen, um herausfordernde Zeiten zu meistern. Daher sind gerade gute Gewohnheiten in diesen Zeiten wichtig. Das heißt auch: In entspannten Zeiten ist es einfacher, neue Routinen zu entwickeln.
Feste Routinen vs. Flexibel bleiben
Manchmal sind Routinen nicht nur hilfreich. Sie können unter Umständen auch hinderlich sein. Zum Beispiel mussten viele Menschen während der Pandemie plötzlich im Home Office arbeiten und sich von Jetzt auf Gleich neue Routinen aneignen und an die neue Situation anpassen. Hältst du zu verbissen an gewissen Gewohnheiten fest, wird es dir schwerfallen, in Zeiten der Veränderung entspannt zu bleiben. Achte daher im Alltag darauf flexibel zu bleiben und bewusst mal kleine Dinge anders zu machen, z.B. mal auf der anderen Seite des Esstischs zu sitzen, deinen morgendlichen Kaffee in einem anderen Raum zu trinken als sonst oder eine andere Frisur zu tragen als gewöhnlich.
Methoden zur Unterstützung von neuen Gewohnheiten
Bis zu einer neuen Gewohnheit braucht es durchschnittlich 66 Tage – so die Wissenschaft. Wenn du dir eine neue Gewohnheit aneignen oder auch eine Schlechte ersetzen willst, ist es ratsam, wohlwollend mit dir umzugehen. Denn du weiß ja jetzt, dass nachhaltige Veränderung kontinuierliches Einüben und Trainieren anderer Verhaltensweisen beinhaltet. Und wenn du ein oder zwei Mal mit einer Gewohnheit brichst (auch das haben Studien ergeben), wird dir dein Gehirn auf jeden Fall verzeihen – wenn du danach wieder am Ball bleibst.
Die 5 Why’s
Oft steht hinter einer neuen Gewohnheit ein größeres Ziel. Ganz zu Anfang deines Vorhabens kannst du sehr gut die 5-Why-Methode anwenden und überprüfen, ob deine Gewohnheit und dein Ziel gut zusammenpassen. Sie hilft dir dabei, deinen Motiven auf den Grund zu gehen und fördert dein Durchhaltevermögen für die kontinuierliche Umsetzung.
Die 5-Why-Methode ist ursprünglich eine Methode aus dem Qualitätsmanagement zur Ursache-Wirkung-Bestimmung. Sie wird zum Beispiel genutzt, um die Probleme bei fehlerhaften Prozessen zu identifizieren. In unserem Fall kannst du sie ganz einfach übertragen. Du nimmst deine neue Gewohnheit (z.B. Ich möchte mehr Gemüse essen) und fragst 5 Mal: Warum? Am besten schreibst du die Antworten sogar auf. Das kann dann so aussehen
Meine neue Gewohnheit: Ich möchte mehr Gemüse essen.
- Warum? Weil ich mich gesünder ernähren möchte.
- Warum? Weil ich mich besser fühlen möchte.
- Warum? Weil ich mich oft müde und energielos fühle.
- Warum? Weil ich kaum die Zeit finde, neben der Arbeit etwas für mich zu tun.
- Warum? Weil ich gar nicht genau weiß, was mir neben der Arbeit überhaupt noch Spaß macht und ich Angst habe, mich zu langweilen.
Die Anzahl 5 ist hier nur symbolisch zu verstehen. Es lohnt sich mindestens 5 Mal zu fragen, aber auch öfter, wenn du das Gefühl hast, dass du noch mehr herausfindest. So gelangst du zu deinen tieferen Gründen und kannst noch einmal überlegen, ob deine neue Gewohnheit tatsächlich dazu beiträgt, deinen Zielen oder Herausforderungen näher zu kommen. Oder ob du doch eine andere Gewohnheit etablieren willst. Die Person in unserem Beispiel entscheidet sich tatsächlich dafür, mehr Gemüse zu essen und gleichzeitig einen Kochkurs für gesunde Ernährung zu besuchen, um herauszufinden, ob Kochen ein neues Hobby werden kann. So kannst du um deine Gewohnheit weitere Bedürfnisse herumbauen, die dir das Dranbleiben erleichtern.
Ziele definieren und Handlungen ableiten
Sicher kannst du dir bereits denken, dass Ziele wie „Ich möchte mehr Gemüse essen“ oder „Ich möchte mich gesünder ernähren“ einfach zu unspezifisch sind. Wir können hinterher nicht sagen, ob wir erfolgreich waren, weil was genau bedeutet schon „mehr“ oder „gesünder“? Besser ist es, kleine Handlungen zu definieren, die auf dieses Ziel einzahlen. Zum Beispiel: Ich esse jeden Tag mindestens 2 verschiedene Sorten Gemüse. Wenn du mehr Sport machen willst, aber aktuell der totale Sportmuffel bist, solltest du dir vielleicht nicht vornehmen, ab jetzt jeden Tag zwei Stunden ins Fitnessstudio zu gehen. Halte es einfach und realistisch. Deine neue Gewohnheit könnte zum Beispiel lauten: Ich bewege mich mindestens drei Mal die Woche 30 Minuten am Stück. Plane auch ein, dass mal was dazwischenkommen kann. Vielleicht legst du dann prinzipiell für jede Woche 4 Termine fest, statt drei, sodass du einen Ausweichplan hast.
Schlechte Gewohnheiten identifizieren und ersetzen
Der Habit Loop zeigt, dass Gewohnheiten eine bestimmte Belohnung bringen (z.B. Entspannung durch Fingernägelkauen). Du kannst dieses Wissen nutzen, indem du die Gewohnheitsschleife identifizierst. Welche Belohnung bringt deine Gewohnheit und wie kannst du vielleicht noch zu dieser Belohnung kommen? Überleg dir, wie du auf den Reiz, also den Auslöser, reagieren möchtest, wenn er das nächste Mal kommt. Bei dem Bespiel mit den Fingernägeln brauchst du etwas, das du direkt tun kannst (den auch die Fingernägel sind ja immer in greifbarer Nähe) – zum Beispiel eine Atemübung. Genauso kannst du umgekehrt vorgehen und unattraktive Elemente einbauen. Wenn du erst zum Supermarkt laufen musst, um Chips zu kaufen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass du diesen Umstand tatsächlich auf dich nimmst.
TLC (Thank, Learn, Connect)
Reflektion wird dir helfen, deine neue Routine erfolgreich zu etablieren (wir erinnern uns an das Bewusste und den präfrontalen Kortex). Mit dieser Methode kannst du regelmäßig – gerne handschriftlich - über deine neue Gewohnheit in 3 Schritten reflektieren: